Der Schnee ist geschmolzen, die Tage werden sichtbar länger und die Kraft der Sonne hat bereits die Energie den Boden, trotz noch kalter Nächte, am Tage zu erwärmen. Vermutlich wissen es die Pflanzen nicht oder denken gar darüber nach und doch reagieren sie auf die entsprechenden Signale die sie erhalten. Eine Pflanze die sehr früh im Jahr entscheidet, dass es jetzt Zeit ist wieder aktiv zu werden und den Zyklus ihres Lebens neu zu starten, ist der Huflattich.
Dieser Korbblütler gehört zu den ersten Frühjahrsblumen und beginnt mit der Blüte noch bevor das Laub der Büsche und Bäume seinen Lebensraum beschattet - er hat seine Nische gefunden. Seine Gestalt ist auf den ersten Blick nicht auffallend hübsch und weit weniger im Fokus bei Fotografen und Spaziergängern als seine populären Zeitgenossen wie Krokus oder Schneeglöckchen, obwohl er zumeist direkt am Wegesrand von lichten Waldwegen – bevorzugt im Buchenwald - wächst. Dank seiner bis zu zwei Meter langen, unterirdischen Wurzelausläufer erobert der ausdauernde Pflanzenpionier wechselfeuchte, lehmige oder tonige Rohböden.
Ein Aspekt warum ich das Fotografieren so schätzen gelernt habe, ist der zwangsläufige Umstand Dinge genauer zu betrachten. Ich schaue mir dabei die Objekte wirklich an und nehme sie nicht nur flüchtig war und staune dabei immer wieder aufs Neue welche Vielfalt die Natur uns bietet. Bei Pflanzen die auf dem Boden wachsen bedeutet das, sich auf dasselbe Niveau herabzulassen und dreckige Klamotten zu bekommen. Die Haltung die man beim Blick durch den Sucher einnimmt ist dabei nicht immer angenehm und ich bin froh dabei zumeist allein im Wald zu sein. Eine nackenschonende Hilfe kann hier ein Klappdisplay bieten, doch kann es meiner Meinung nicht den Blick durch den Sucher gleichwertig ersetzen.
Nicht nur wir Menschen sind froh, dass endlich wieder mehr Farbe in unser Leben Einzug hält. Auch die ersten aktiven Insekten sind auf diese Zuckertankstellen angewiesen. Wenn man mit der Kamera auf dem Boden liegt um auf Augenhöhe zu sein, blickt man daher nicht selten in die Selbigen von Bienen und den kolibriartigen Taubenschwänzchen. Mehrere seltene Schmetterlingsarten, z. B. der Alpen-Würfeldickkopffalter (Pyrgus cacaliae) und die Große Bodeneule (Rhyacia lucipeta), haben den Huflattich sogar zur Leibspeise für ihre Nachkommenschaft auserkoren. Er dient ihnen zunächst als Eiablageplatz, später den Raupen als Futterpflanze.
Der Huflattich gilt bekanntermaßen zu den Heilpflanzen und wird schon seit langer Zeit vor allem zur Linderung von Husten eingesetzt. Daher kommt auch sein lateinischer Name „Tussilago farfara“. Wobei „Tussis ago“ nichts anderes bedeutet als „Ich vertreibe den Husten“, der Name ist also Programm. Die lange Tradition seiner Nutzung hat ihm daneben viele weitere Namen gegeben, so z.B. Breit-, Brust- oder Eselslattich, Latten, Lette, Ackerlatsche, Wanderers Klopapier (wegen der weichen Unterseite seiner Blätter sehr geschätzt), Kuhfladen, Esels- oder Rosshuf, Eselstappe, Fohlenfuß, Hufblatt und Zieglerblume.
Doch obwohl schon Hildegard von Bingen auf die Heilkraft des Huflattichs bei akuten Katarrhen der Luftwege mit Husten und Heiserkeit geschworen hat – dies ist auch nicht bestritten – sollten sie, bevor sie jetzt in den Wald gehen um sich ein paar Blüten zum Teekochen holen, bedenken, dass der wilde Huflattich leider auch geringe Mengen von mutagenen und potentiell karzinogenen Pyrrolizidinalkaloide enthält. Bei Züchtungen die im seriösen Handel verkauft werden sind diese Stoffe nicht enthalten.
Am Ende seiner Blütenzeit trumpft er nochmal ganz groß auf. Mit züngelnden Flammen in orangegelb auf seinem Haupt zeigt er an, dass der Frühling nun endgültig da ist. Erst jetzt bildet die Pflanze ihre handtellergroßen Blätter deren Form dem Huflattich seinen Namen gab.
Bis bald und bleiben Sie neugierig,
Wolfgang Lechler